Technologieunternehmen mit langer Tradition und dem Standort Deutschland verpflichtet, gibt es immer weniger. Um sich international behaupten zu können, gehen viele von ihnen ins Ausland. Das Unternehmen Kathrein ist eines jener Technik-Schmieden, die auch nach fast 100 Jahren Geschichte noch immer fest mit dem Standort Rosenheim verwurzelt sind – auch, wenn längst nicht mehr nur dort produziert wird.
Umbau und Sanierung statt Abriss und Neubau
Die Anfänge des Unternehmens liegen in einer Rosenheimer Kellerwerkstatt, in der Firmengründer Anton Kathrein 1919 seine ersten Blitzschutzgeräte entwickelte und vermarktete. Der Erfolg von Kathrein setzt sich bis heute fort, wo vor allem Systeme für den Datenverkehr im Mobilfunk ein wichtiges Standbein geworden sind. Seit 2018 ist der Technologieanbieter und weltweit größte Antennenhersteller eine europäische Aktiengesellschaft.
Von Süden mit der Bahn kommend, fällt unmittelbar nach der Eisenbahnbrücke über die Mangfall das achtgeschossige Montagehochhaus von Kathrein ins Auge. Das Gebäude aus dem Jahr 1989, südlich der Bahntrasse errichtet, wurde vom Rosenheimer Architekturbüro Quest Architekten umgebaut und revitalisiert. Während des Umbaus komplett entkernt, ist es heute die neue Firmenzentrale des Unternehmens. Im Gebäude sind die Geschäftsleitung und die zentralen Verwaltungsfunktionen eingegliedert. Dort, wo sich im Werk III vor wenigen Jahren noch Produktion befand, ist ein repräsentatives Bürohochhaus entstanden.
Sanierung mit großen Herausforderungen
Die Entscheidung des Bauherrn, das Montagehochhaus zu erhalten, erwies sich als äußerst bewusster und nachhaltiger Umgang mit dem Bestand: Die Bausubstanz war für die neue Büronutzung geeignet und die Gebäudetechnik konnte auf aktuellen Stand gebracht werden. Nichtsdestotrotz stellte der Umbau und die damit einhergehende energetische Sanierung die Architekten und Innenarchitekten von Quest Architekten vor Herausforderungen. So ist das 7. Obergeschoss komplett entkernt worden, die Lage der Fassaden sowie die Wegeführung durch die Etage wurden überarbeitet und ein Anbau für den Feuerwehraufzug und ergänzende Technikräume erwies sich als notwendig. Die hier entstandene, repräsentative „Skylounge“ zeigt jedoch eindrucksvoll, mit welchem hohen gestalterischen Anspruch die Sanierung in Angriff genommen wurde. Die vollverglasten Längsfassaden der Skylounge sind in Richtung Nordwesten und Südosten orientiert. Sie geben den Blick auf den lebendigen Bahnhof, die Gleise und die Rosenheimer Innenstadt frei und lassen den Blick nach Südwesten weit über das malerische Alpenpanorama schweifen. Urbanität und Regionalverbundenheit finden in diesen spannungsvollen Ausblicken zusammen – zwei Attribute, für die das Unternehmen Kathrein ebenfalls steht.
Leiterplatten als Entwurfsmotiv für den Innenausbau
Als zentrales Gestaltungsmotiv ziehen sich kupferfarbene Oberflächen und Strukturen wie Mäander durch die Etagen. Sie sind eine Reminiszenz an die rotgoldenen Leiterplatten, die für elektronische Schaltkreise verwendet werden. Auch, wenn zukünftig keine Produktion mehr im Montagehochhaus geplant ist, findet sich die Struktur von Leiterplatten in den Innenräumen wieder und prägt den gesamten Umbau am Standort Rosenheim: Die Technologie- und Ingenieurleistung, die wie eine Aura über dem Hochhaus liegt, sollte hier für die Zukunft konserviert bleiben.
Quest Architekten entwickelten ein umfassendes Sanierungskonzept, das das gesamte Gebäude miteinbezog und, verbunden mit der Nutzungsänderung, einen notwendigen Anbau für Feuerwehraufzug und Technik berücksichtigte. Die Beauftragung der Planungsleistungen erfolgte jedoch nicht für das gesamte Projekt, sondern in Etappen und auf Einzelgeschosse beschränkt. So wurde mit der 2. Etage begonnen; weitere Teilplanungsaufträge bis einschließlich zur 6. Etage folgten. Der Umbau der 7. Etage zur heutigen Skylounge war davon unberührt und kam bereits mit der Erstbeauftragung in die Umsetzung. Im 1. OG befindet sich nach dem Umbau die Vorstandsetage. Das Erdgeschoss, ein flexibler Showroom, der ebenfalls für Veranstaltungen genutzt werden kann, ist nur in Teilbereichen dem Gestaltungskonzept von Quest Architekten unterworfen. Er bildete den Abschluss des etappenweisen Umbaus.
Für Thomas Gerhager, einen der drei Geschäftsführer von Quest Architekten, lag in der geschossweisen Realisierung eine wesentliche Besonderheit des Projekts: „Wir haben den Umbau des Kathrein Werks III zum Headquarter als wachsendes Projekt verstanden. Ursprünglich waren nur zwei der Geschosse für einen Umbau geplant. Doch im Laufe der Monate und voranschreitenden Planung folgten weitere Etagen. Das hatte vor allem Auswirkungen auf den nachfolgenden Ausschreibungs- und Vergabeprozess.“
Die AVA musste auf die Erweiterungen im Projekt reagieren
Für die Ausschreibung, Vergabe und Abrechnung des Kathrein Projekts arbeiteten Quest Architekten mit der Software ORCA AVA. Basis für alle Kostenberechnungen, die im Zuge der Planung erfolgten, war eine Gewerkeschätzung mit Kostengruppen, die in früher Planungsphase bereits sehr detailliert erarbeitet wurde. Thomas Gerhager: „So konnten wir mit großer Genauigkeit und anhand aktueller Vergleichs-LVs die Mengen und Kosten ermitteln. Da wir das Projekt geschossweise umsetzten, musste unsere AVA-Lösung parallel den geschossweisen Zuwachs transparent und detailliert abbilden.“ Den Kostenrahmen bildeten dabei die Kostengruppen 100 bis 600 nach DIN 276. Die komplette Kostenberechnung inklusive Nachtragsmanagement ließ sich mit ORCA AVA realisieren. Quest Architekten führten ihre an die detaillierte Kostenschätzung anschließende Kostenberechnung nach den jeweiligen Modifikationen (Geschossergänzungen) und über den gesamten Projektverlauf fort. Das war notwendig, um zu jedem Zeitpunkt den Überblick über die Budgetentwicklung und die bereits aufgelaufenen Gesamtkosten wie den geschossweisen Kosten zu behalten. Für die Besprechungen mit dem Bauherrn konnten sie so die aktuelle Kostensituation darlegen: bezogen auf den Zuwachs im Budget durch erfolgte Auftragsergänzungen, die bereits verbauten Kosten in den Etagen und die geplanten Kosten bei avisierter Ausbaustufe. Thomas Gerhager sieht darin einen wichtigen Transparenzgewinn für das Projekt: „Mit ORCA AVA war es möglich, das Budget trotz etagenweisen Zuwachses übersichtlich zu gestalten. Wir konnten mit unserem Bauherrn die Ist-Situation besprechen und gemeinsam entscheiden, ob es sich bei einer Anpassung um eine Muss- oder eine Kann-Position handelt. Denn das hatte direkte Auswirkung auf das Kostengefüge.“
Eine Lösung und mehrere Wege ans Ziel
Neben dem kontinuierlichen Zuwachs, der bei Quest Architekten einen manuellen Abgleich in der AVA erforderte, bietet ORCA AVA zwei weitere komfortable Möglichkeiten, einen Mengenzuwachs, z.B. durch neue Bauabschnitte, im bereits laufenden Projekt zu realisieren. Zum einen können mit einer neuen Kostengliederung separate Bauabschnitte im Projekt angelegt werden. Alle Positions- oder Mengeneinträge des Bauabschnitts A lassen sich diesem Bauabschnitt bis zum Startzeitpunkt des nachfolgenden Bauabschnitts B eindeutig zuweisen. Die folgenden Einträge, beispielsweise für eine neu beauftragte Etage, können dann im Bauabschnitt B eingetragen werden, für eine nächste Etage in Bauabschnitt C usw. Darüber hinaus gibt es die Option, mit einem kombinierten Kostenrahmen zu arbeiten. Bei ORCA AVA ist er unter den Systemvorlagen ersichtlich. Hier können beide Kostengruppen, also sowohl nach DIN als nach Auftragsvolumen, in nur einer Auswertung abgebildet werden.
Maximale Transparenz und Übersichtlichkeit bei allen Beteiligten
Die etagenweise Entwicklung des Kathrein Projekts in Rosenheim brachte eine weitere Besonderheit zu Tage: Anders als bei einem öffentlichen Gebäude, bei dem jedes Geschoss hätte neu ausgeschrieben werden müssen, ließ sich die Massenmehrung hier sehr einfach abbilden. So konnte beispielsweise der mit dem Trockenbau beauftragte Auftragnehmer, sofern von seinen Kapazitäten nachweisbar, ein neues Geschoss ohne neue Ausschreibung und ergänzend ausbauen. Seine Mehraufwände protokollierte er im Rapportbericht und gab sie mit seinen Abrechnungen an die Architekten weiter. Quest Architekten pflegten sie in ihre AVA ein, ordneten sie den jeweiligen Geschossen zu und gaben die Rechnungen nach Prüfung an den Bauherrn weiter. Anders als in einem konventionellen Projekt, bei dem das Baubudget im Vorfeld gemeinsam definiert wird, ließ sich das Kathrein-Projekt seitens Quest Architekten nur in dieser Form transparent gestalten. Denn sie hatten zum Baubeginn keinen Überblick über das letztendliche Bauvolumen, waren jedoch zu jedem Zeitpunkt verpflichtet und in der Lage, wachsendes Budget und steigende Projektkosten aufzuzeigen.
Für Thomas Gerhager ist der Nutzen seiner AVA-Software in diesem Zusammenhang immens: „Wir mussten die Auswertung in bestimmten Bereichen zwar händisch nachführen, konnten mit ORCA AVA aber über den gesamten Projektverlauf hinweg die Entwicklung von Budget und Kosten darlegen. Für alle am Projekt Beteiligten bedeutete das eine hohe Kostensicherheit, die Mehraufwände minimierte.“
Autor:
Tim Westphal
Fachredakteur, Dipl. Ing. Arch. (FH)
ABBILDUNGEN
Fotos – © Claus Rammel
Infografiken – © ORCA Software GmbH