Der digitale Produktpass für transparente Lieferketten und zirkuläre Produkte
Absolutes Must-have im Reisegepäck ist für die meisten in der Regel ein Personalausweis oder ein Reisepass. Diese sind international anerkannte Dokumente zur Angabe von Daten über die eigene Person. Dieser für uns selbstverständliche Vorgang soll bald auch für Elektronik- und Textilprodukte sowie Batterien Realität werden. Da Handys, Tablets und Co. selbstverständlich keinen haptischen Reisepass bei sich tragen, sollen ihre „persönlichen Daten“ in Zukunft mittels eines digitalen Produktpasses über einen QR-Code oder RFID-Chip an jeder Stelle der Wertschöpfungskette abrufbar sein.
Verbraucher*innen sollen so beim Kauf von Textilien, Elektronikprodukten, aber auch Möbeln und Spielzeug mehr Möglichkeiten erhalten, sich über wichtige Produktinformationen wie die Energieeffizienzklasse, die Herstellungsbedingungen oder die Reparierbarkeit zu informieren, um darauf aufbauend eine versierte und nachhaltige Kauf-entscheidung treffen zu können. Aber auch für andere Beteiligte z.B. bei der Reparatur oder dem Recycling ergeben sich enorme Potenziale: Bisher kann es bei hoch miniaturisierten Elektronikprodukten schwer herauszufinden sein, welche Rohstoffe oder toxischen Bestandteile im Produkt enthalten sind und wie diese voneinander getrennt werden können. Damit diese Informationen immer auch der richtigen Zielgruppe zur Verfügung stehen, sollen nutzungsspezifische Zertifikate den Zugang reglementieren.
Die Gesamtheit der im Produktpass enthaltenen Informationen ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht endgültig geklärt. Im Projekt CIRPASS erarbeitet die Gruppe um Eduard Wagner am Fraunhofer IZM aktuell, welche gesetzliche Informationspflicht bereits existiert und welche weiteren Informationen für den Produktpass interessant sein könnten. Am Ende soll eine Informationsarchitektur aufgebaut werden, in der geklärt wird, welche Informationen für die Beteiligten der Wertschöpfungskette einen Mehrwert haben und mit welchem Aufwand sie bereitgestellt werden können. Ein Reparaturindikator, der angibt, wie gut sich ein Produkt reparieren lässt, ist beispielsweise in Frankreich seit 2021 verpflichtend*¹ und kommt für den digitalen, gesamteuropäischen Produktpass ebenfalls in Frage. „Auch die Angabe der Energieeffizienzklasse ist mittlerweile vorgeschrieben. Doch diese Informationen müssen jetzt noch einzeln ermittelt werden, und bei anderen Werten gibt es noch keine europaweite Anzeigepflicht. Hier ein Höchstmaß an Einheitlichkeit zu schaffen, ist ein wichtiges Ziel des Produktpasses.“ sagt Nachhaltigkeitsexperte Eduard Wagner.
Damit 2026 die ersten Produktpässe verfügbar sind, gilt es also, viele Akteur*innen abzuholen und einen Konsens zu den wichtigsten Informationen zu finden. „Im Projekt haben wir 23 Stakeholder-Gruppen identifiziert, für die wir die jeweiligen Bedürfnisse abfragen. Und das für alle drei Sektoren“, erklärt Wagner. „Bei uns sind Materialproduzent*innen, Elektronikhersteller*innen- sowie Reparateur*innen und Recyclingverbände an Bord.“ Die Ergebnisse dieser Konsultationen werden dann an die EU-Kommission weitergegeben und dienen den aktuellen politischen Aktivitäten als Orientierung, welche in Zukunft die gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich des Produktpasses festlegen. Besonders berücksichtigt und gefördert werden sollen hier auch kleinere und mittlere Unternehmen, für die die Bereitstellung zusätzlicher Informationen einen hohen Mehraufwand darstellen kann.
Über das Projekt:
Das Projekt CIRPASS (Collaborative Standardization of a European Digital Product Passport for Stakeholder-Specific Sharing of Product Data for a Circular Economy) wird von der Europäischen Union mit 2 Millionen Euro über 2 Jahre gefördert und läuft vom 01.10.2022 bis 31.03.2024. Die Projektleitung obliegt der French Alternative Energies and Atomic Research Commission (CEA). Weitere Projektpartner sind neben dem Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM die SLR Consulting, das Wuppertal Institut, Chalmers Industriteknik, DKE, GTS, +ImpaKT, F6S, European Research Consortium for Informatics and Mathematics (GEIE ERCIM), E Circular Aps, GS1 in Europe, Politecnico Milano, circular.fashion, DIGITALEUROPE, EIT InnoEnergy, TUDelft, TalTech, Veltha, energy web, BAM, Sync Force, The Innovalia Association, Textile Exchange, the Responsible Business Alliance, Wordline Mint, RISE Research Institutes of Sweden, iPoint, the Global Electronics Council™ (GEC), atma.io und The Global Battery Alliance (GBA).
Das Fraunhofer IZM ist weltweit führend bei der Entwicklung und Zuverlässigkeitsbewertung von Technologien für die Aufbau- und Verbindungstechnik von zukünftiger Elektronik. Hierdurch entstehen Eigenschaften, die bislang eher untypisch für Mikroelektronik sind: zum Beispiel wird sie dehn- oder waschbar, hochtemperaturbeständig oder extrem formangepasst. Die Forschenden des Fraunhofer IZM setzen dabei ebenso Maßstäbe für die Umweltverträglichkeit von Elektronik.
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Wenn die Software schuld ist: Studie enthüllt neue Risiken für die Lebensdauer von Elektronikgeräten
Bisher legte die Forschungs-Community bei Lebensdaueruntersuchungen ihr Augenmerk auf Alterungs- und Verschleißprozesse der elektronischen Bauteile, die Software blieb so gut wie unbeobachtet. Doch auch die Software kann Grund dafür sein, dass die Lebensdauer von Elektronikgeräten verkürzt wird und somit zum steigenden Elektroschrott beiträgt. Um die so genannten Software-Obsoleszenz verstehen und beschreiben zu können, haben Forschende von der TU Berlin, dem Öko-Institut e.V. und dem Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM im Auftrag des Umweltbundesamtes eine Studie erhoben, die den Status Quo dieses Phänomens aufbereitet, Recherchen zu Produktgruppen sowie Verbraucher*innen-Befragungen erhebt und davon ausgehend produktpolitische Maßnahmen, Handlungsempfehlungen für Konsument*innen und vor allem Ratschläge zur Ursachenbekämpfung aufstellt. Die Pionierarbeit zum Thema softwarebedingter Obsoleszenz füllt damit die Informationslücke zum Zusammenhang zwischen Software, Produktdesign und Umweltauswirkungen.
Der Grundgedanke ist folgender: Eine Software hat eine bestimmte Qualität und Funktionen, die sie erfüllen soll. Ändern sich jedoch Anforderungen, zum Beispiel zu anderen Geräten oder Sicherheitsanforderungen, können sich diese qualitativen und funktionalen Aspekte verändern – und unter Umständen verschlechtern.
Das Team analysierte Einzelfälle der Software-Obsoleszenz in verschiedenen Produktgruppen: Von einer wenig kompatiblen und gerätespezifischen Software für ein smartes Thermostat bis hin zu Software-Updates von Smartphone-Anbietern, die versprechen, die Batterielebensdauer älterer Modelle zu verbessern. Das sogenannte Battery-Gate führte in einigen Fällen jedoch zur Verschlechterung der gesamten Software-Performance von den betroffenen Smartphones.
Als drei zentrale Wirkungskategorien legen die Forschenden bei der Analyse der einzelnen Produktgruppen die Sicherheit, Funktion und Kompatibilität des Systems fest. Wird eine dieser Funktionen beeinträchtigt, wird von softwarebasierter Obsoleszenz gesprochen. Die unterschiedlichen Einzelfälle weisen die Forschenden auf einen Zielkonflikt des Phänomens hin: Durch neue Anforderungen an das Gerät befindet sich die Software und damit das Gesamtsystem in ständiger Veränderung. Doch genau dabei können unsichtbare Mängel entstehen.
Zu Beginn der Studie befragte das Team Verbraucher*innen – sichtbar wurde, dass sich 60 % der Befragten ein größeres Verständnis rund um konkrete Obsoleszenzrisiken von Software wünschen. Warum die Software als Katalysator für Verschleißprozesse ein blinder Fleck ist, erklären sich die Expert*innen wie folgt: Bisher sind die meisten Elektronikgeräte nicht von einer extremen Software-Abhängigkeit betroffen. Prognosen der Studie zeigen jedoch, dass sich dieser Trend rasant ändern wird: Der schnell wachsende Markt im Bereich der Smart Homes, aber auch die Etablierung des autonomen Fahrens werden viele Devices mit Zusatzfunktionalitäten und starkem Software-Bezug hervorbringen. Auch im öffentlichen Raum nimmt die Vernetzung beispielsweise in Form von digitalisierten Lichtanlagen oder smarter Verkehrssteuerung zu.
Festgehalten werden kann aber ganz klar: Während üblicherweise davon ausgegangen wird, ein Update würde die Nutzungsqualität steigern, kann dieses potenziell zu langfristigen Verschlechterungen der Performance oder zum Verlust einzelner Funktionalitäten führen. „Man denkt immer, die Software könnte nicht verschleißen, sie rostet ja nicht, aber wenn ein Smartphone nach zwei Nutzungsjahren keinen Software-Support mehr erhält, ist das aus Engineering-Sicht eine Katastrophe. Wenn wir die Prinzipien des Ökodesigns auf die Software anwenden, könnten wir zu einer Entschleunigung und längerer Produktlebensdauer gelangen“, so Erik Poppe, Projektverantwortlicher an der TU Berlin.
Marina Köhn, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Umweltbundeamt und für die Themen Green-IT verantwortlich, geht noch weiter: „Die Studie des Fraunhofer IZM, der TU Berlin und des Öko-Instituts e.V. weist uns deutlich darauf hin, mit welchen Problemen wir durch die Vernetzung von Produkten in Zukunft rechnen müssen. Software darf nicht dazu beitragen, dass Produkte nicht mehr nutzbar sind und sich das Elektronikschrottaufkommen zusätzlich erhöht. Hersteller müssen in die Pflicht genommen werden, ihre Produkte so zu designen, dass sie ausreichend lange genutzt werden können. Geschäftsmodelle die dem entgegenwirken, müssen untersagt werden. Außerdem müssen Konsument*innen beim Kauf eines Produktes darüber informiert werden, welche Abhängigkeiten mit anderen Geräten und Diensten bestehen und bei Änderungen muss der Hersteller die Zustimmung des Nutzenden einholen“.
Abschließend leiteten die Forschenden Handlungsempfehlungen für die staatliche Regulierung ab, die die Lebensdauer von Produkten mittels Software verlängern, statt reduzieren sollen. Der Flickenteppich aus Anregungen fokussiert sich auf drei zentrale Aspekte: Zum einen sollen die Mindestanforderungen für den Marktzugang spezifiziert und damit eine Mindestnutzungsdauer gewährleistet werden. Dafür sollen Geräte auch ohne externe Abhängigkeiten betrieben werden können. Sicherheitsrelevante Updates sollen für mindestens zehn Jahre bereitgestellt werden. Außerdem sollen Schnittstellen zur Stärkung der Kompatibilität und Interoperabilität von Systemen entstehen.
Als zweite Anforderung nennt die Studie Maßnahmen für mehr Transparenz. So sollen etwa Hersteller die Abhängigkeiten von softwarebetriebenen Produkten und den garantierten Supportzeitrahmen verpflichtend benennen müssen. Zuletzt sollen Ökoinnovationen wie nachhaltige Softwareentwicklung gefördert werden.
„Zusätzlich zu den Handlungsempfehlungen für das Umweltbundeamt war uns wichtig, dass das Projekt fachlichen Austausch angeregt hat. Softwarebasierte Obsoleszenz muss als Hürde für nachhaltigen Elektronikkonsum sichtbar werden. Das gilt nicht nur für die Fachwelt: Ziel ist es, die Awareness der Nutzer*innen zu steigern, so dass man sich schon vor dem Kauf überlegt, was nach dem Kauf passiert.“, so Jan Druschke, Nachhaltigkeitsexperte vom Fraunhofer IZM.
Basierend auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Studie werden im politischen Prozess Handlungsempfehlungen entwickelt und Konsens zwischen Herstellern, Verbraucher*innen und Expert*innen geschaffen.
Das Fraunhofer IZM ist weltweit führend bei der Entwicklung und Zuverlässigkeitsbewertung von Technologien für die Aufbau- und Verbindungstechnik von zukünftiger Elektronik. Hierdurch entstehen Eigenschaften, die bislang eher untypisch für Mikroelektronik sind: zum Beispiel wird sie dehn- oder waschbar, hochtemperaturbeständig oder extrem formangepasst. Die Forschenden des Fraunhofer IZM setzen dabei ebenso Maßstäbe für die Umweltverträglichkeit von Elektronik.
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