Projektleitung und soziale Kompetenz – ein Widerspruch?

Projektleitung und soziale Kompetenz – ein Widerspruch?

Unserem Gastautor Heinrich Drügemöller, Geschäftsführer des Projektdienstleisters iatrocon GmbH, wurde kürzlich folgende provokante Frage gestellt: „Braucht eine Projektleitung überhaupt soziale Kompetenz?“ Abgesehen von einem schnellen „Ja!” antwortete er mit einer Gegenfrage: „Warum ist soziale Kompetenz für eine:n Projektleiter:in so wichtig?“ Die Antwort gibt er selbst – in diesem Gastbeitrag. 

Projektumfeld

Um eine vollständige Antwort zu geben, möchte ich kurz die Definition eines Projekts in Erinnerung rufen: 

Ein Projekt ist ein individuelles, einmaliges, komplexes sowie zeitlich, sachlich und räumlich begrenztes Vorhaben mit einer spezifischen personellen Organisation sowie klar definierter Verantwortung. Zur Aufgabenstellung gehört eine realistische Ziel- und Ergebnisdefinition. 

Hier sei eine erste Zwischenbemerkung von mir erlaubt: So nüchtern die Definition von Projekten auch klingen mag – letztendlich sind es Menschen, die Projekte realisieren. Menschen mit eigenen Motiven, Eigenschaften und Fähigkeiten. Sie besitzen oft verschiedene Muttersprachen und kommen aus unterschiedlichen Kulturkreisen. 

Zudem ist heute üblich, dass das Projektteam räumlich verteilt ist. Dies gilt innerhalb eines Gebäudes wie auch für unterschiedliche Standorte des Unternehmens oder der beteiligten Partner. Das Arbeiten über Grenzen und Kontinente hinweg ist normal geworden. 

Rolle der Projektleitung

In diesem Umfeld ist die Projektleitung das Bindeglied. Der / die Projektleiter:in wird vom Management beauftragt, die gewünschten Ergebnisse des Projektes zu erreichen. Die Project Charter oder der Projektauftrag ist die Basis. Die Projektleitung sorgt für klare Prozesse und Regeln. Sie gibt Methodenstandards im Projektmanagement vor. Die Definition von Regeln und Prozessen im Projekt fallen in ihre Verantwortung. Der/die Projektleiter:in ist nicht der fachliche Experte. 

Die Projektleitung organisiert Ressourcen, Räume, und Kommunikationsmittel. Sie verantwortet die Kommunikation im Projekt. 

Soziale Kompetenz

Ohne soziale Kompetenz ist meiner Ansicht nach Kommunikation nicht möglich, wenn positive Aspekte erreicht werden sollen. Dabei ist soziale Kompetenz ein weites Feld. Nachfolgend nur einige Aspekte: 

  • Kommunikationsfähigkeit 
  • Empathie 
  • Toleranz 
  • Teamfähigkeit 
  • Konfliktfähigkeit 
  • Kompromissbereitschaft 
  • Durchsetzungsfähigkeit 
  • Interkulturelle Kompetenz

Wozu diese Aspekte wichtig sind, wird schon bei der Betrachtung der Projektmanagement-Methoden deutlich. Alle Methoden haben das Thema “Kommunikation” als wesentliches Element verankert.  

Meine persönliche Erfahrung ist, dass eine Hauptaufgabe des Projektleiters / der Projektleiterin die Kommunikation im Projekt ist. Er oder sie muss diese anstoßen sowie aktiv einfordern und organisieren. Dies muss den Menschen im Projekt gerecht werden. Die Kultur, die Bedürfnisse oder die persönliche Situation jedes Einzelnen sollten soweit wie möglich berücksichtigt werden. 

Natürlich geschieht heute viel innerhalb eines Projektes über Chats, Mails und Projektportale in schriftlicher Form. Verbale Kommunikation über Videokonferenzen, aber auch Telefonate, sind trotzdem essenziell. 

Jour Fixes im Projekt, Steering Boards oder Workshops sind Beispiele, in denen überwiegend verbal kommuniziert wird. Während in der Vergangenheit vielfach face to face gesprochen wurde, sind heute Videokonferenzen üblich geworden. Bei der face to face Kommunikation ist für die Teilnehmenden die gesamte Körpersprache ersichtlich. In Videokonferenzen ist dies nur teilweise gegeben. Um so wichtiger ist es, jedes Wort „auf die Goldwaage zu legen”. 

Nach den theoretischen und allgemeinen Hinweisen habe ich ein erlebtes Beispiel aus der Praxis unter den genannten Aspekten aufbereitet. 

Beispiele: soziale Kompetenz im Projekt

Startphase

Als Projektleiter im Konzern wurde ich vom technischen Management und IT Management gebeten, ein Projekt zu übernehmen. Es war die Entscheidung gefallen, eine vorhandene IT-Anwendung (nennen wir sie der Einfachheit halber WART) durch Standard SAP® abzulösen. Meine Standardfrage nach der Projekt Charter wurde damit beantwortet, dass diese noch zu erstellen sei. Exakte Vorgaben bezüglich Zeitraum und Budget wurde nicht benannt. Mir wurde noch der Hinweis gegeben, dass ich viele der Stakeholder aus vorangegangenen Projekten persönlich kennen würde. 

Nach ersten Schritten wie Meetings mit den bekannten Personen gewann ich folgende Erkenntnisse: 

  • Zur Vorhandenen Anwendung WART gab es keine Dokumentation, so sehr ich auch die IT-Verantwortlichen oder den Fachbereich gebeten habe, diese bereit zu stellen. 
  • Erste Gespräche mit den mir bekannten Stakeholdern in Meetings verliefen, sobald WART erwähnt wurde, plötzlich in einer angespannten Atmosphäre. Selbst bewusst lockerer Plauderton änderte nichts. 
  • Eine Rückfrage bei den verantwortlichen Managern ergab: Ja, WART sei ein „heißes Eisen“. Aus diesem Grund hätte ich auch die Aufgabe bekommen. Inhaltlich gab es keine weiteren Informationen. 

Erforderliche Aspekte in dieser Startphase waren: 

  • Kommunikationsfähigkeit 
  • Empathie 
  • Toleranz 

Aspekte, die auch in den folgenden gezielten Einzelgesprächen wichtig wurden. 

Einzelgespräche und Klärung der Themen 

In den Einzelgesprächen mit Stakeholdern wurde folgendes deutlich: 

  • Die Anwendung WART hatte eine ganz eigene, sehr emotionale Geschichte. Dazu gehörte eine sehr lange Entwicklungszeit mit unterschiedlichen Interessen, geprägt von Fehlentscheidungen, unterlegt mit Konflikten im Management. Das alles hatte zu vielen persönlichen Differenzen geführt. 
  • Eine sehr große Datenbasis, wichtig für den operativen Betrieb, war zwischenzeitlich entstanden. 
  • WART wurde intensiv von einem wichtigen Team genutzt. Ein jährliches mit WART abgewickeltes Projektvolumen zwischen 50 und 100 Mio. € war die Regel. 
  • Wesentliche Stakeholder waren externe Partner. 
  • Die Zusammenarbeit zwischen den Stakeholdern war grundsätzlich gut. Man ging teilweise sogar Bier trinken miteinander – aber zum Thema WART wollte man nicht miteinander sprechen. 
  • Die Mitwirkung in einem Projekt wurde mehrheitlich in Frage gestellt. 

So den Projektauftrag zu erfüllen, erschien unmöglich. Auf dieser Basis war es nicht möglich, ein Team zusammenzustellen, das effektiv miteinander arbeiten würde. Ein Projekterfolg schien nicht gewährleistet. Zudem wurde deutlich, dass es zwischen den Managementzielen und den Interessen der Stakeholder erhebliche Differenzen gab. 

Wie formt man in einer solchen Situation ein Team? Wie führt man die Interessen der Beteiligten zusammen? Wie holt man das Management ab? 

Lösungsansatz und Graphic Recording 

Vor diesem Hintergrund habe ich den Lösungsansatz über moderierte und durch Graphic Recording dokumentierte Workshops gewählt. 

Graphic Recording ist eine Methode, die live visualisiert und damit aufzeichnet. Das Wesentliche der Dialoge eines Meetings oder eines Workshops bzw. einer Veranstaltung wird dokumentiert. Betrachter erhalten schnell einen Überblick und können tief ins Thema eintauchen. Im kreativen Bild-Protokoll werden Inhalte klar und anschaulich dargestellt. 

Für die Umsetzung galt es als erstes, das Management zur Situation WART zu informieren und vom Lösungsansatz zu überzeugen. Im kleinen Kreis wurde … 

  • die komplexe Situation rund um das Thema WART erläutert. 
  • die bis dahin im Unternehmen unbekannte Methode präsentiert. 

Die Freigabe für das Vorgehen und das erforderliche Budget (Workshop, Moderator, Graphic Recorder) wurde erreicht. 

Abschließend war noch das Management davon zu überzeugen, diese Workshops nicht persönlich zu begleiten, da starke Vorbehalte anderer geplanter Teilnehmer bestanden. 

Erforderliche Aspekte der Sozialen Kompetenz in dieser Projektphase waren für mich: 

  • Kommunikationsfähigkeit 
  • Empathie 
  • Konfliktfähigkeit 
  • Durchsetzungsfähigkeit 
  • Interkulturelle Kompetenz (es sind verschiedene Firmenkulturen aufeinander getroffen) 

Workshop Vorbereitung 

Nach der Freigabe durchs Management wurde der Workshop zügig vorbereitet. Die Stakeholder konnten durch Einzelgespräche zum Teil mühsam zur Teilnahme bewegt werden. Externe Partner (Firmen und Einzelpersonen) waren zu überzeugen, teilzunehmen. 

Details für die Workshops waren mit der Moderatorin und der Mitarbeiterin für das Graphic Recording abzustimmen. Darunter fallen Räumlichkeiten, Arbeitsmittel wie Beamer, Graphic Tools, Zeitablauf und Rollenverhalten zwischen Moderator, Recorderin und Projektleiter. Fachliche Inhalte und beteiligte Personen waren zu klären. Die Zielsetzung des Workshops war abzustimmen. 

Aufgrund von Terminrestriktionen musste der geplante 3-tägige Workshop auf 2 Tage reduziert werden. 

Für mich waren folgende Aspekte in dieser Projektphase wichtig: 

  • Kommunikationsfähigkeit 
  • Empathie 
  • Toleranz 
  • Teamfähigkeit 
  • Kompromissbereitschaft 
  • Interkulturelle Kompetenz 

Workshop

Der Workshop startete wie erwartet mit persönlichen, konfliktbeladenen Statements der Teilnehmer. Fachliche Inhalte waren in der Startphase nebensächlich. Auch persönliche Angriffe und Unterstellungen haben nicht gefehlt. Die Moderatorin hatte viel zu tun, um die Gemüter zu beruhigen. 

Während des Workshops wurden auf der einen Seite des Raumes per Beamer unterschiedliche Präsentationen der Stakeholder gezeigt, die deren jeweilige Position oder Ansicht verdeutlichten. Auf einer anderen Seite des Raumes wurde das „grafische Protokoll“ als fortschreitende Dokumentation über einen Beamer gezeigt. Es gelang der Recorderin mit Ihrem Tablet ausgezeichnet, Emotionen, Situationen, fachliche Inhalte und Personen darzustellen. Die große Skepsis, die zu Beginn des Workshops gegenüber Graphic Recording bestanden hatte, wich immer mehr Interesse und Neugier. 

Nachdem zu Beginn das „Dampfablassen“ im Vordergrund stand, wurde in der 2. Hälfte des 1. Tages die Diskussion im Workshop immer sachlicher. Die Atmosphäre entspannte sich, und erste fachliche Aspekte wurden erörtert. Einzelne Personen waren am Ende des 1. Tages bereit, für den nächsten Tag zusätzliche fachliche Inhalte vorzubereiten. 

In der Tageszusammenfassung wurden Moderation und die grafische Darstellung gelobt. 

Für mich als Projektleiter war der wichtigste Aspekt die Teamfähigkeit. Bewusst und auch kommuniziert war ich von der Rolle des Projektleiters im Workshop temporär zurückgetreten. Dies ermöglichte es mir, als Teammitglied zu agieren. 

Dieser Aspekt der sozialen Kompetenz war auch am 2. Tag des Workshops wichtig. Die Aufgabenstellung wurde sachlich und konstruktiv von allen Beteiligten in Angriff genommen. Am Ende wurde ein Zielkatalog erarbeitet. Wesentliche Aufgaben wurden definiert. Key-Personen für die weitere Mitarbeit in Projekt wurden identifiziert und deren Mitwirkung gesichert.  

Festzustellen blieb am Ende, dass die Aufgabenstellung des Managements nicht der sachlichen und fachlichen Situation entsprach. Es wurden andere Ziele definiert. Die Klärung mit dem Management wurde mir als Projektleiter übertragen. 

Fazit

Ja – ein Projektleiter oder eine Projektleiterin braucht soziale Kompetenz! An dem Beispiel habe ich aufgezeigt, welche Situationen im Projekt entstehen können. Der Projektleiter sollte in der Lage sein, diese entsprechend zu lösen. Das gewählte extreme Beispiel ist zwar nicht alltäglich; Teambildung ist aber Bestandteil eines jeden Projektes. Mitarbeitende neu aufzunehmen und Mitarbeitende aus dem Projekt zu entlassen, ist Tagesgeschäft. Ebenso zum Tagesgeschäft zählen Meetings in unterschiedlicher Form, die von der Projektleitung moderiert werden. Soziale Kompetenz ist für eine:n kommunikationsstarken Projektleiter:in unabdingbar. Eine Projektleitung ohne soziale Kompetenz wird letztendlich scheitern. 

Über den Autor

Heinrich Drügemöller ist Senior Projektmanager und Geschäftsführer des Projektdienstleisters iatrocon GmbH. Er besitzt mehr als 35 Jahre Expertise in Projekten und über 20 Jahre Erfahrung in der Geschäftsführung von Unternehmen. Seine Branchenkenntnisse umfassen Versicherungen und Banken, Versorgungs- und Energiewirtschaft, Chemie, Pharmazie, Petrochemie und Verkehrslogistik. Er verfügt über die Zertifizierungen PRINCE2 (Projects in Controlled Environment), PRINCE2 Practitioner sowie PMI (Project Management Institute), PMP (Project Management Professional). Heinrich Drügemöller ist Gastautor für Can Do. 

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