#closedbutopen?! Virtuelle Museen für nachhaltiges Kuratieren
Museen im Lockdown
Alle Kultureinrichtungen haben heftige Aufgaben zu bewältigen, vor allem in Krisenzeiten. Auch Museen sind von der aktuellen Misere natürlich nicht ausgeschlossen, denn die Türen sind zu und die "realen" Besucherzahlen sanken schlagartig auf Null. Nun ist die Zeit für echte Online-Angebote angebrochen. Nur große und/oder besonders innovative Häuser haben sich diesen Themen vor der Pandemie gewidmet. Nun steht den Häusern mit dem doch länger existierenden Lockdown ein neues Zeitalter ungewünscht vor der Nase und die meisten reagierten bereits schnell und früh auf die Umstellung. Doch welche Formate sind davon erfolgreich und nachhaltig? Welche Formate sind zielführend? Welche Formate sind im besten Falle sogar profitabel, wenn man sich überlegt, wieviel Angebote im Netz kostenlos sind. Dürfen Museen Eintrittsgelder für Museumsbesuche digitaler Art verlangen? Dürfen Kultureinrichtungen Tickets verkaufen für virtuelle Führungen und vor allem sollten sie das tun? Ich möchte auf ein paar Themen eingehen, die mich selbst bei der Erstellung einer Digitalisierungsstrategie eines Museums beschäftigt haben: Die Akzeptanz der Digitalisierung war vor wenigen Jahren noch kaum vorhanden. Heutzutage traut sich aber keine Direktorin und kein Direktor eines Museums mehr, die Digitalisierung zumindest im offiziellen Statement als irrelevant zu betrachten. #closedbutopen wird schnell auf Webseiten und Social-Media-Kanäle veröffentlicht. Doch was dann folgt, ist meist wenig strategisch und noch weniger innovativ. Schnell wird deutlich, wer die digitale Herausforderung als Chance begriffen hat.
Das digitale Museum
Direktor*innen und Kurator*innen könnten bei der Planung und Organisation digitaler Angebote eine zentrale Frage versuchen zu beantworten, um die gröbsten Fehler zu umschiffen: Welche digitale/virtuelle Lösung verbindet sowohl die Planung von Museen und Ausstellungen als auch den nachhaltigen und profitablen zumindest kostenneutralen Umgang der Präsentation unserer Kulturgüter und ermöglicht eine sinnbringende Form der erlebnisreichen Vermittlung? Denn das alleinige Digitalisieren der eigenen Bestände scheint ein Fundament darzustellen, aber noch nicht die Lösung, um die Wissensvermittlung erfolgreich abzuschließen. Ich weiß nicht, wie es ihnen geht, aber das alleinige Scrollen durch Bilddatenbanken von Objekten scheint mir nicht die ideale Lösung zu sein, um Museumsbestände im 21. Jahrhundert zu präsentieren. Beispielsweise das Städel in Frankfurt am Main mit seiner Digitalen Sammlung sahen das wohl ähnlich und entwickelte u.a. einen spielerischen Umgang mit den Datenbankeinträgen. Es wurde dabei nicht nur darüber nachgedacht, wie man die Daten sammeln kann, sondern auch, wie man die Daten präsentieren könnte, um die digitale Nutzung zu attraktivieren. Auch Bilder-Slider von Ausstellungstücken, also Bilder, die aneinandergereiht eine Ausstellung geben sollen, wirken eher dröge und fad, auch wenn sie bei Google Arts and Culture gezeigt werden. Ausnahmen bestätigen hier die Regel. Beispielsweise zeigt das Landesmuseum Württemberg durch eine hervorragende Bildqualität und kurze, ansprechende Texte ein formschönes Beispiel für den Umgang mit dieser Plattform und liefert einen leichten und attraktiven Einstieg in das Thema „Fashion?!“. Auch das Badische Landesmuseum zeigt aktuell einen Ansatz, den man dringend verfolgen sollte. Die Ansätze und Konzepte des museum X zeigen ein paar progressive Ideen auf, die auf innovative Realisierungen hoffen lassen.
Virtuelle Führungen und Barrierefreiheit
Große Beliebtheit erfreuen sich aktuell virtuelle Führungen. Dieses Format hat unterschiedliche Ausprägungen. Live-Führungen mit Kameras auf dem mobilen Stativ ermöglichen durch reale Guides einen Einblick in die aktuell präsenten Ausstellungen. Virtuelle 3D-Rundgänge durch bestehende Ausstellungen schaffen es wohl dagegen am besten, nicht nur das Wissen in Textform zu verarbeiten, sondern auch die Art und Weise wie das Haus dieser Objekte präsentiert zu zeigen und in einem Kontext, wie das Museum Wissen ordnet, verortet und in Szene setzt. Dabei stehen diese Angebote 24/ zur Verfügung. Gleichzeitig haben diese Rundgänge in 360° den Vorteil, dass die Besucher*innen das Haus und die Räume leicht kennenlernen und entdecken können. Auch das Gefühl des Durchschreitens einer Ausstellung erinnert doch viel mehr an den eigentlichen analogen Museumsbesuch. Wir haben dies mit CUUUB u.a. in den Westfälischen Salzwelten realisiert. Das Projekt wurde in Kooperation mit der Kommune Soest und der Deutschen Telekom entwickelt. Telekoms Manager Levent Dogan berichtet im Video „Weißes Gold erleben“ über die Vorteile dieser Lösung.
Storytelling im Virtuellen
Das Virtuelle bietet im Gegensatz zum analogen Erlebnis noch weitreichende Möglichkeiten, die bestehenden Geschichten und spannenden Objekte mit anderen Quellen zu verbinden, interaktiver zu vermitteln sowie ästhetisch ansprechender zu präsentieren, auch wenn man das Fehlen des Materiellen natürlich nicht komplett ausgleichen kann. Aber die Möglichkeiten des virtuellen Museums mit dem Wissen um das Ausstellungenmachen von Kuratoren*innen kann von unschätzbarem Wert sein und zu einem begeisternden Erlebnis führen, wenn mit Herzblut und Ernst die virtuelle Ausstellung kuratiert.
Stellen Sie sich nur vor, ein*e Kurator*in würde sich mit dem gleichen Engagement einer virtuellen Ausstellung wie einer analogen Ausstellung widmen. Teilweise wird dies aktuell aus der Not heraus oder aufgrund des freien Zeitpensums so betrieben, doch lohnt sich der professionelle Umgang mit diesen Werkzeugen auch langfristig, denn sie können eine unvorstellbare Reichweite erzeugen. Die Verknüpfung von Storytelling-Strategien, 3D oder in einigen Fällen auch Virtual oder Augmented Reality sind aktuell neue Formen die erst einmal ihre Konventionen und damit auch ihre Akzeptanz finden müssen. Diese innovativen Ansätze und Experimente dienen den Museumsdirektor*innen und kurator*innen aktuell noch als Spielwiese. Besonders im VR-Bereich sind die ersten Ansätze noch stark experimenteller Natur und haben daher einen besonderen Reiz für die Museumsmitarbeiter*innen. Allerdings gilt es bei diesen VR-Ansätzen zu berücksichtigen, dass die notwendigen Geräte der digitalen Besucher*innen womöglich nicht flächendeckend verfügbar sind oder die Besucher*innen wiederum vor Ort (im Museum) sein müssen, um das Angebot zu nutzen. Daher ist es für das Massenphänomen der digitalen Ausstellung sicher ratsam, die Präsentation im 3D-Raum näher zu betrachten. Kombiniert mit dem Erzählen einer guten Geschichte, kombiniert mit dem unterhaltsamen Aufbau einer Ausstellung und transformiert in den virtuellen Raum mit zahlreichen Features, die den Online-Besuch noch schmackhafter machen, bietet sich für Kurator*innen ein unglaublich weites Spielfeld und ein ästhetisches Mittel, um Objekte zu präsentieren, um Geschichten zu erzählen, um Persönlichkeiten hervorzuheben und Kontexte erlebbar zu machen.
Analyse der virtuellen Museumsbesuche
Auch neue Aspekte der Analyse und der Evaluation kommen durch einen digitalen Zwilling des Museums immer deutlicher zum Tragen. Über eine Heatmap lassen sich in Echtzeit anonymisiert und pseudonymisiert anzeigen, wo sich die virtuellen Besucher*innen hinbewegen, welche Bereiche sie meiden oder nur kurz streifen. Die Analyse der Laufwege und der Aufenthaltsdauer lassen sich dadurch nicht erst am Ende der Ausstellung für eine Evaluation nutzen, sondern geben diese Erkenntnisse bereits im Pre-Visit und in den ersten Live-Besuchen preis. Die Chancen, die Ausstellung während ihres Prozesses zu optimieren, wird im einem virtuellen Museum nochmals potenziert gesteigert. Und wir stehen hier erst am Anfang einer neuen Datenerhebung für Museumsverantwortliche.
Analoge Einnahmequellen digitalisieren
Die meisten Angebot im Netz sind für die User kostenlos. Nur wenige Live-Führungen per Smartphone durch Museen kosten aktuell ein paar Euro. Doch es bieten sich zahlreiche Möglichkeiten an, die virtuellen Museen so zum Einsatz zu bringen, dass gewisse Leistungen und Angebote auch monetarisiert werden können. Mit CUUUB lässt sich beispielsweise vollständig integriert ein immersiver Webshop einbinden, der mit zahlreichen Extras aufwartet und sich "deutlich aus der grauen Masse der E-Commerce-Systeme abhebt", so Prof. Dr. Oliver Höß.
Raumplanung und Sicherheit
Ein Aspekt, der bislang noch stark unerwähnt blieb ist die Nachhaltigkeit der Online-Museen. Denken sie nur einen kurzen Moment über ihre letzte, analoge Ausstellung nach (auch wenn es schon eine Weile her sein mag) und wieviel Material hier zur Verwendung kam, wieviel Geld eingesetzt wurde, um die Ausstellung aufzubauen oder wieviel Ressourcen nach der Ausstellung in der Mülltonne landeten. In den fast 7000 Museen allein in Deutschland wurden zigtausende Ausstellungen in den letzten Jahren umgesetzt, die nicht immer mit einem Nachhaltigkeitskonzept realisiert wurden. Wie kann dies mit Mitteln der Digitalisierung nachhaltiger geschehen? Das Deutsche Museum zeigt dies anhand eines ersten Prototyps auf der selben technologischen Basis wie sie bei CUUUB zum Einsatz kommt. Eine gescannte Punktewolke und damit ein hochpräziser digitaler Zwilling des Deutschen Museums schafft ein 3D-Abbild, das nach einmaliger Erfassung vielfältig genutzt werden kann. Auf Basis dieses 3D-Modells können zukünftige Planungen analoger Ausstellungen millimetergenau durchgeführt werden. Die Ausstellungsplanung wird ähnlich wie das „BIM“-Verfahren, das „Building Information Modeling“, realisiert. Die digitalen Abbilder der Objekte werden in das 3D-Modell des Museums kuratorisch positioniert. Die Kurator*innen laufen ihre eigene Schau vorab virtuell ab und überlegen anhand dieser Pläne ihre Konzept weiter. Auch das Ausspielen dieses digitalen Zwillings der Ausstellung als eigenes Standbein des Ausstellungsprojekts kommt mit dieser Form dem analogen Ausstellungserlebnis deutlich näher. Auch die Verknüpfung mit Sicherheitsanlagen im digitalen Zwilling sind möglich. Die Technologien rund um die Themen IoT / Sensortechnik bieten unter anderem Chancen, die Ausstellung zu überwachen und die vorhandenen Daten auszulesen und in einem eigenen Dashboard abzubilden.
Virtuelle Besucher*innen besitzen echte Relevanz
Und zum Schluss ein kurzes Plädoyer, virtuelle Besucher*innen als ernsthafte Museumskonsumenten anzuerkennen. Noch immer hört man in vielen Häusern die Aussage, das relevante Zahlen nur an der "echten" Museumskasse gemessen werden könnten. Woher kommt dieser Irrglaube und das stoische Festhalten an dieser Haltung? Natürlich lieben wir alle das Erlebnis im Vor-Ort-Museum, warum auch nicht?! Aber der Wunsch nach einem haptischen Erlebnis wird hier in vielen Häusern gar nicht entsprochen und die Darstellung der Objekte werden im digitalen Raum immer besser und bringen in naher Zukunft die Besucher*innen viel näher an das Objekt heran als es im "realen" Museum jemals erlaubt wäre. Hier einige Stichworte, an die zu einem späteren Zeitpunkt anzuknüpfen wäre, da jedes dieser Thema einen eigenen Artikel verdienen würde:
- (Globale) Reichweite
- Virtueller (historischer) Kontext
- Ko-Text durch Objekte anderer Häuser
- Ausstellungsdauer
- Flexibilität
- Verfügbarkeit
- Bandbreite der Kommunikationsmittel
- Gamification
- Partizipation
Kehren wir zur zentralen Ausgangsfrage zurück: Welche Formate sind erfolgreich, nachhaltig, zielführend, profitabel? Ich würde hier gerne eine kurze Antwort geben, Sie aber gleichzeitig dazu einladen, diese Liste zu erweitern, Stellung zu nehmen oder sich für unseren Ansatz mit CUUUB näher zu beschäftigen. Oder auch in Communities wie beispielsweise "WeAreMuseums" den regen Austausch zu suchen.
In Anbetracht diverser Perspektiven auf das Museumswesen und der täglichen sowie der spezifischen Projekten sehe ich die größte Chance für viele Häuser eine Strategie zu verfolgen, die einerseits die Museumskultur in digitale Transformationsprozesse mit einbezieht und enge Verknüpfungen zwischen den analogen und digitalen bzw. virtuellen Projekten berücksichtigt. Das sinnvolle Zusammenspiel von analogen Museumspraktiken und digitalen Präsentationsformen wird sicher auch nach dem Lockdown massiv an Bedeutung zunehmen.
Autor
Dr. Frank Dürr ist Geschäftsführer von acameo. Er wurde in der Allgemeinen Rhetorik promoviert mit einer Arbeit über "Verhaltenswissenschaftliche Grundlagen der Rhetorik". Er ist Kommunikationsexperte, Kurator und Autor.
Dr. Frank Dürr ist Gründer und Geschäftsführer der Gruppe für digitale Kommunikation acameo (Kreativbotschafter BW 2020). Er ist Lehrbeauftragter diverser Hochschulen, zudem Herausgeber und Autor kommunikationswissenschaftlicher und museologischer Publikationen. 2014 publizierte er das Handbuch "Ausstellungen machen" (UTB, Stuttgart) und wurde jüngst mit dem DigAMus-Award ausgezeichnet für das digitale Ausstellungsprojekt „Dental|Things“.
acameo kuratiert analoge und digitale Erlebniswelten. Wir sind Enthusiasten bei der Umsetzung erlebnisreicher Präsentationen von Produkten und Räumen. Wir verschwistern das Physische und das Virtuelle mit 3D, AR, VR und individuellen Webanwendungen. Nutzen Sie unsere Expertise, Kampagnenleistungen, innovativen Technologien und frischen Strategien, um sich aus der grauen Masse offline und online abzuheben.
Mehr Informationen unter www.cuuub.com.
acameo
Doblerstraße 11
72074 Tübingen
Telefon: +49 (7071) 8609229
http://www.acameo.de
Geschäftsführung
E-Mail: mail@acameo.de