Durchblick in der Digital Supply Chain
„Work in progress“, sagte ein zufriedener Stephan Müller, während er seinem Gegenüber zum Abschied die Hand reicht. Müller setzt sich gerade wieder im Besprechungsraum eines großen deutschen Retailers auf seinen Platz am Kopfende des Tisches. Weiße Wände, weiße Tischoberfläche, graue, grob belassene Betondecke, von trichterförmigem grellen LED-Licht nur punktuell unterbrochen. Vor wenigen Minuten erst hatte er an dieser Stelle und vor versammelter Geschäftsleitung seinen Vortrag beendet; laut surrend kühlt sich der an der Decke montierte Beamer auf Betriebstemperatur, während er noch immer ein Modell, penibel punktgenau gezeichnet, bestehend aus mehreren Ebenen, verschiedenen Türmen, Verbindungslinien und zahlreichen Icons an der Wand abbildet. „The Exploded View: How to Succed Digital Supply Chain“ steht dort geschrieben, gleichbedeutend dem Titel seiner Präsentation.
Am Digital Business nicht länger – mehr schlecht als recht – teilzuhaben, nein, es zu beherrschen, hat man sich bei diesem familiengeführten Hersteller für Gebrauchsgüter mit sechsstelliger Mitarbeiterzahl auf die Fahne geschrieben. Die Geschäftsleitung hatte zu diesem Zeitpunkt längst realisiert, dass sich Verflechtungen und Abhängigkeiten, Informations-, Service- und Vertriebswege in den vergangenen Jahren massiv und im D-Zug-Tempo verändert hatten. „Erfolg“, so Stephan Müller, „ist nunmehr nur erreichbar durch eine neue und veränderte Perspektive auf das eigene Business, durch Unterstützung eines neuen Business-Modells. Lange Zeit hieß es auch hier im Unternehmen noch: ,Business as usual‘, lag der Fokus auf der traditionellen Supply Chain“, fährt Stephan Müller fort. „Die erste Annäherung an die Digital Supply Chain geschah eher halbherzig, zumeist weder durchdacht noch mit spürbarem, geschweige denn mit messbarem Erfolg. Ein Prozedere, wie man es eins zu eins auf zahllose andere Unternehmen übertragen könnte.“
Die traditionelle Lieferkette: Einkauf, Produktion, Distribution – und dann?
Jahrelang hatte die Chefetage viel Zeit und Mühe – von Geld wollen wir erst gar nicht sprechen – in den Auf- und Ausbau der physischen Lieferkette der Produktleistungen gesteckt, den Warenfluss Step by Step verbessert: von der Herstellung bis zum Handel und zum Kunden an der Ladentheke. Die internen Abläufe wurden perfektioniert, Zusammenarbeit und Prozesse optimiert und immer effizienter und somit kostengünstiger gestaltet. Die Anzahl an Kanälen, die man benötigte und pflegte, konnten (scheinbar) problemlos überschaut und kontrolliert werden. „Der Weg der Supply Chain lief One Way, war insofern relativ unproblematisch zu ,handlen‘: Auf diese Weise blieb man State of the Art, und die Absatzzahlen am Markt stimmten – stimmten noch.“
„Gute Zeiten“, wird mancher in das Thema involvierter Leser denken, um „längst vergangene Zeiten“ dem ersten Gedanken direkt nachzuschieben. Die traditionelle Supply Chain ist – fraglos – businessrelevant, aber längst nicht mehr allein entscheidend. Das fehlende Puzzlestück lautet: Digital Supply Chain Management.
Globalisierung und Digitalisierung, oder wie es gebuzzworded gerne heißt, der digitale Wandel veranlassen heutzutage immer mehr Organisationen dazu, den eigenen Leistungsfluss stetig zu erweitern, sich intern wie extern neu aufzustellen. Dafür genügt es aber nicht, einen Onlineshop in Höchstgeschwindigkeit aus dem Boden zu stampfen, Mobile Apps auf den Markt zu werfen, die weder auf den eigenen Point of Sale noch den Onlineshop abgestimmt sind, und Kunden mit nicht zu Ende gedachten Kampagnen zu überschütten; „Quick Wins“, wie es so schön heißt, aber alles andere als nachhaltige und im Unternehmen tief verankerte Lösungen.
Fragen, deren Beantwortung, so Stephan Müller, erfolgsentscheidend für ein Unternehmen seien, lauten: „Wie gehe ich mit den digitalen Daten meiner Leistungen und Kunden um? Wie ,handle‘ ich den digitalen ,Zwilling‘ meines Produktes? Wie reagiere ich auf neue technische Trends? Ob und wie integriere ich diese in meine Leistungen? Wie stelle ich meine Organisation erfolgsversprechend auf, und zuvorderst natürlich: Wie kann ich den Kunden begeistern und langfristig an mich binden?“
Müller wägt seine nächsten Worte genau ab. „Die digitale Lieferkette – deren strategische Planung wie auch operative Umsetzung – muss Kernkompetenz jedes Unternehmens sein. Nur so lässt sich schnell und flexibel auf Veränderungen am Markt reagieren, kann man bei Bedarf genauso schnell agieren. Müssen neben den eigenen businessrelevanten Bedürfnissen auch die von Partnern und Händlern in der Firmenstrategie integriert und berücksichtigt werden. Muss der Informationsfluss zum Kunden hin und zurück genutzt werden – bei all dem unterstützt ein schlüssiges und handlungsleitendes Modell wie die Exploded View.“
Digital Supply Chain – kein One Way-Business mehr
Die Anzahl an Kanälen, seien es Mobile Apps, Onlineshops, Websites bis hin zu Ecosystems wie Amazon & Co., die die Produkte zahlloser Hersteller wie Händler vertreiben, ist in den vergangenen Jahren förmlich explodiert. Für Unternehmen bedeutet die entstandene Informationsflut, dass sie neben klassischen Datentypen wie Produktdaten, Lieferantendaten, Mitarbeiterdaten oder Kundendaten auch mit Datentypen wie User generated Content nicht nur umgehen, sondern diese in der eigenen Organisation verarbeiten, einbetten, anreichern und wieder zur Verfügung stellen müssen – für interne wie auch externe Zwecke. Denn in einer erfolgreich betriebenen Digital Supply Chain greifen über den gesamten Prozess von Entwurf, Design und Fertigung dessen, was ein Unternehmen leistet oder erzeugt, bis zu Lieferung und Feedback alle notwendigen und im Lauf dieses Prozesses erzeugten und gewonnenen Daten und digitalen Bausteine nahtlos und effizient ineinander. So werden beispielsweise die Produktdaten einer Organisation aus dem Information Layer über die Orchestration Layers dem Channel Layer bereitgestellt. Parallel hierzu speist das Unternehmen dieselben Produktdaten auch in die Datenbank der entsprechenden Vertriebspartner und Händler ein, sodass auch dort alle benötigten Informationen zum jeweiligen Produkt abgerufen werden können, man diese für den eigenen Zweck überarbeitet und anschließend selbst in den jeweiligen Kanälen publizieren kann.
Waren es früher Informationen in simplen Texten verpackt, zu Länge, Breite und Höhe eines Produktes, so werden heute zusätzlich Fotos und Videos bis hin zu 360-Grad- Bildern oder Daten für Augmented-Reality-Anwendungen vom eigenen Point of Sale, der Website, dem Onlineshop und diversen Social Media-Kanälen, aber eben auch von Dienstleistern, Geschäftspartnern und Händlern benötigt, um die eigene Leistung zu präsentieren, zu offerieren und auch zu verkaufen.
Digital Supply Chain of Customer Data
Auch der letzte Zuhörer hat sich jetzt, nach ein paar Minuten des Fachsimpelns, von Stephan Müller verabschiedet. Den Blick zur offenen Eingangstür des nun leeren Besprechungsraums gewandt, fährt Müller fort: „Durch die beschriebene Zunahme an Kanälen besitzt der Kunde nun viel mehr Optionen, mit einem Unternehmen in Kontakt zu treten und Leistungen unterschiedlichster Art auch direkt und ohne Zwischenhändler vom Hersteller in Anspruch zu nehmen. Auf diese Weise entsteht ein noch größerer Datenfluss, beispielsweise über Apps, die genutzt werden, Websites, die besucht werden, Links auf Promotionmails, die angeklickt werden et cetera, die es seitens des Unternehmens zu verarbeiten gilt. Hinzu kommen neue technologische Errungenschaften, die Einzug nicht nur im Handel hielten, wie das Internet of Things (IoT).“
Der Kunde besitzt hierbei ein mit dem Internet verbundenes Produkt. Dieses übermittelt fortwährend Statusinformationen zum Hersteller, welcher die Daten (als sogenannten „Digital Twin“ des einzelnen Artikels) verwaltet und webbasiert sowie passwortgeschützt dem Kunden zur Verfügung stellt. Leicht veranschaulichen lässt sich dies beispielsweise anhand von Philips „Hue“ samt Bewegungsmelder, dem Beleuchtungssystem des gleichnamigen Elektronikkonzerns. Statt per Lichtschalter werden die eigenen vier Wände dank kostenloser Mobile App per Tippens auf das iPhone oder das Tablet gesteuert beleuchtet oder die Lichter gehen selbstständig an, sobald entsprechende Räume betreten werden. All die hierbei entstandenen Daten, wie Bewegungssensordaten, Nutzungsdaten, Kontaktdaten, Standortdaten und auch vom User bereitgestellte Informationen wie Feedback, Meinungen, Bewertungen, Kommentare und vieles mehr, werden per WLAN an den Hersteller übermittelt.
„Für ein Unternehmen bedeutet das: Der Aufwand, diese Datenmenge verarbeiten und nutzen zu können, ist immens und gleichzeitig essenzieller Bestandteil einer Digitial Supply Chain Strategy“, sagt Stephan Müller. „Es bietet sich ihm die Chance, eine sehr viel stärkere Kundenbindung zu erzeugen“, da man direkt mit dem Kunden zu tun hat, ihn durch Zusatzangebote und Leistungen noch enger an das eigene Unternehmen binden kann. So entstehen völlig neue Geschäftsfelder und Vertriebskonzepte, Dienstleistungen und Services, können zusätzliche Projekte angestoßen, Produkte entwickelt und angeboten werden – wenn man denn die Digital Supply Chain beherrscht.
„IoT ist auch in diesem Unternehmen inzwischen in das Leistungsportfolio integriert. Die App zum Rasenmäher samt mobilem Kundenservice, Materialpflegehinweisen und Ersatzteillieferungen frei Haus und zu einem vom Hersteller nach Einsatz der Maschine berechneten Zeitpunkt, waren der Anfang einer Vielzahl von Digitalisierungsprojekten, die nach und nach umgesetzt werden.“
Sichtlich entspannt steht Stephan Müller jetzt auf, schaltet den Beamer ab. Das Surren von der Decke ist schlagartig beendet, das Modell von der weißen Wand verschwunden, die Botschaft aber längst bei den Zuhörern angekommen.
„Die tieferen Zusammenhänge und Herausforderungen einer Digital Supply Chain sind für alle Beteiligten durch unsere gemeinsame Arbeit der vergangenen Monate sichtbar, verständlich und vor allem auch adressierbar geworden. Die Exploded View hat für Klarheit in strategischer und operativer Hinsicht gesorgt und die Verantwortlichen maßgeblich bei der Umsetzung der Digital Supply Chain unterstützt. Work in progress: Die Entwicklungskurve in puncto Digitalisierung zeigt inzwischen nach oben, und genau so soll es auch bleiben.“
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