Process Mining hat das Zeug zum „Next Big Thing“
MEHRWERK: Schönen guten Tag Prof. Dr. Reinhard Rupp. Man kann Sie ja getrost als „Grenzgänger“ bezeichnen. Zunächst Wirtschaftsprüfer / Steuerberater, dann viele Jahre Führungsaufgaben und CFO bei Heidelberger Druck, Mann+Hummel und PHOENIX Pharmahandel, dann wieder Wirtschaftsprüfer gleichzeitig Professor an der Hochschule Pforzheim.
Prof. Dr. Reinhard Rupp: Ja, das passt. Allerdings zieht sich die IT wie ein roter Faden durch. Vom COBOL-Programmierkurs und programmierbaren Taschenrechner für Steueroptimierung an der Uni, über das Interesse an der IT im Unternehmen inkl. der Verantwortung für die Unternehmens-IT als CFO, dann der Einsatz der IT in Wirtschaftsprüfung und heute die IT in Lehre und Forschung an der Hochschule sowie als Aufsichtsrat in einem großen badischen IT-Systemhaus.
MEHRWERK: Dann brauchen wir Ihnen sicher nicht zu erzählen, dass die digitale Transformation auch vor den Bereichen Finanzen und Controlling keinen Halt macht: Prozesse werden variantenreicher, Daten komplexer. In immer kürzer werdenden Zeiträumen müssen zunehmend komplexe Daten erfasst und analysiert werden. Unternehmen stehen vor enormen Herausforderungen – auch hinsichtlich Governance, Risk & Compliance Management … Wir würden uns sehr freuen, Ihre fachkundige Meinung zu verschiedenen Fragen einholen zu dürfen.
„Digitale Prozesse generieren eine Flut von Daten und Informationen, die sich kaum mit den traditionellen Mitteln erfassen, analysieren und bewerten lassen.“ Sind einhergehende Schlagworte wie Big Data, Automatisierung und Connectivity für Sie nur Modewörter oder ernstzunehmende Entwicklungen?
Prof. Dr. Reinhard Rupp: Sicher werden diese Themen etwas gehypt. Aber ich bin der festen Meinung, dass wir uns in einem fundamentalen Veränderungsprozess befinden, dessen Geschwindigkeit nicht vergleichbar ist mit der sicherlich auch rasanten Entwicklung in der Vergangenheit. Treiber sind die ständig wachsende Rechnerleistung (Moores Law), die ständig wachsenden Datenübertragungsvolumina (Gesetz von Nielsen), welche die zunehmend mobile Nutzung der fast explosionsartig wachsenden Datenmengen möglich machen. Hierdurch verändern sich Wertschöpfungsprozesse und es entstehen neue, oft disruptive Geschäftsmodelle. Dies alles wird durch die sog. Künstliche Intelligenz, Robotics, Virtual und Augmented Reality noch zusätzlich befeuert.
MEHRWERK: „Controlling muss schneller und agiler werden“. Wie werden sich Unternehmen Ihrer Ansicht nach in den kommenden Jahren verändern?
Prof. Dr. Reinhard Rupp: Der Finanz- und Controllingbereich nimmt meines Erachtens eine Schlüsselrolle ein und steckt auch in einem gewissen Dilemma. Zwar entstehen technische Möglichkeiten, um – wie Sie richtig sagen – schneller und agiler zu werden: Die traditionellen Controllingaufgaben des vergangenheitsbezogenen Reportings inkl. visueller Aufbereitung und Analyse werden automatisiert und den Führungskräften direkt bereitgestellt werden. Big Data bringt das Potential durch Predictive Analytics, die kurzfristige Planung und Steuerung erheblich zu verbessern. Mit KI und Robotics können die administrativen Prozesse radikal verschlankt werden und die in der Vergangenheit aufgebauten Shared Service Center werden ausgedünnt werden können. Bei all diesen Möglichkeiten sollte der Finanz- und Controllingbereich in den Unternehmen eigentlich eine Treiber- und Führungsrolle übernehmen. Nicht nur mein Eindruck ist aber, dass das Controlling viel zu sehr in den althergebrachten Prozessen und Systemen festhängt und die „Tretmühle“ und der Termindruck von Planung/Forecast/Reporting den Blick für diese Herausforderungen versperren. Das Controlling muss daher aufpassen, dass es unternehmensintern nicht „abgehängt“ wird und – wie es eine Schlagzeile in der FAZ jüngst auf den Punkt gebracht hat – „die Kontrolle verliert“. Hier haben es junge und dynamische Unternehmen ohne „IT-Legacy“ deutlich leichter. Und traditionelle, wenig innovative Controllingbereiche sehen sich schon mit dem aus dem Banking-Bereich abgewandelten Zitat von Bill Gates konfrontiert: „Controlling is necessary, Controller not!“
MEHRWERK: Seit Mai 2017 leiten Sie im Weiterbildungsinstitut den Studiengang Strategisches Innovationsmanagement. Sicherlich setzen Sie sich aufgrund Ihrer IT-Affinität und Innovationsorientierung auch insbesondere mit innovativen informationstechnischen Lösungen wie Process Mining und Business Intelligence auseinander. Daher haben wir noch ein paar Fragen an Sie, die sich auf dem Einsatz von Datenanalyse-Software beziehen – auch hinsichtlich Governance, Risk & Compliance Management.
Prof. Dr. Reinhard Rupp: Ich halte das Thema Process Mining für hochspannend und es hat auch für mich das Zeug zum „Next Big Thing“. Process Mining geht nämlich über die Datenanalyse hinaus, denn es erfolgt eine Verknüpfung der Daten mit Transaktionen, es wird quasi eine digitale Spur sichtbar gemacht. Dies ist in erster Linie für die administrativen Prozesse von Bedeutung. Diese Prozesse laufen ja im Zuge der Digitalisierung durchweg in IT-Systemen ab – seien es komplette ERP-Plattformen oder Kernsysteme mit vor- oder nachgelagerten Subsystemen für CRM, SRM, Warenwirtschaft usw. Wenn nun Process Mining auch systemübergreifend die „digitale Spur“ aufzeichnen kann, wird sichtbar, wie Prozesse im Unternehmen tatsächlich funktionieren und gelebt werden. Es bedarf keiner Interviews und kein Zeichnen von Prozessflussdiagrammen. Die Process-Mining-Auswertung zeigt live auf, „was wirklich läuft“ und nicht was aussagegemäß (meist) so läuft. Diese Erkenntnisse schaffen Nutzenpotentiale für verschiedene Fragestellungen. Zunächst kann damit Compliance und Internal Control sehr wirksam unterstützt werden, da aufgezeigt wird, inwieweit die gelebten Prozesse von den internen Regeln abweichen. Paradebeispiel ist die Erfassung von Eingangsrechnungen vor der Erfassung der entsprechenden Bestellungen, weil es mal wieder schnell gehen musste! Mit den Erkenntnissen von PM kann hier wirksam gegengesteuert, das Einhalten der Regeln sichergestellt und die Interne Revision unterstützt werden. Grundsätzlich wichtiger sollte aber das Potential zur Prozessoptimierung sein. Denn PM liefert nicht nur Erkenntnisse für die Frage, ob der Prozess optimal gestaltet ist, sondern auch darüber, ob der Prozess effizient und zeitlich optimiert durchläuft. Als Betriebswirt und Controller sehe ich natürlich auch das Potential, eine Bewertung der Prozesse im Rahmen einer Prozesskostenrechnung einfacher und wirksamer durchzuführen, da die entsprechenden Daten systemseitig erzeugt und mit den betriebswirtschaftlichen Werkzeugen verknüpft können. Und wenn ich den Hut des Wirtschaftsprüfers aufsetze, ergeben sich weitere Potentiale für den externen Wirtschaftsprüfer, der sich einerseits u.U. auf die Ergebnisse der Internen Revision abstützen kann oder eigenständige Analysen anfordern bzw. durchführen kann, um belastbare Erkenntnisse für die Wirksamkeit des Internen Kontrollsystems zu erlangen.
MEHRWERK: Wenn man das hört, könnte man meinen, dass Process Mining in den Unternehmen ein Selbstläufer sein müsste und die Nutzung der entsprechenden Systeme boomen müsste. Ist nach Ihrer Einschätzung der Fall?
Prof. Dr. Reinhard Rupp: Ich habe hierfür keine verlässlichen Zahlen oder Informationen. Das Thema Process Mining gewinnt sicherlich an Bedeutung. Trotzdem kann man nach meiner persönlichen Einschätzung von einem Boom noch nicht sprechen. Dies liegt daran, dass das Thema m.E. auf breiter Front noch nicht bekannt genug ist und die Vorteile noch nicht genügend verdeutlicht wurden. Auch bleibt eine gewisse Skepsis, ob die Anwendungen bei verteilten Systemen und gewachsenen nicht integrierten IT-Anwendungslandschaften wirklich funktionieren. Zuweilen hat man den Eindruck, dass das Thema doch sehr stark auf bestimmte ERP-Plattformen bezogen diskutiert wird. Da bestehen sicherlich Chancen für ERP-unabhängige PM-Lösungen. Eine weitere Hürde sehe ich darin, dass unternehmensintern die Owner solcher Lösungen noch zu identifizieren sind. Der IT-Bereich kann nur die Voraussetzungen schaffen und sieht oft nicht den Nutzen, während die Fachabteilungen zwar den generellen Nutzen für das Unternehmen sehen, aber nicht sicher sind, ob sie selbst die richtigen Treiber sind. Unternehmen, die grundsätzlich stärker prozessorientiert denken und aufgestellt sind, haben es da einfacher und oft auch entsprechende KVP-Teams, die mit einem PM-Werkzeug ausgestattet viel wirkungsvoller wären und auch als Dienstleister für andere Bereiche (Interne Revision, Organisation, Controlling) agieren könnten.
MEHRWERK: Herzlichen Dank, Prof. Dr. Reinhard Rupp, für dieses spannende Interview, welches sehr wertvolle Sichtweisen auf das Thema Process Mining wirft und auch für die Weiterentwicklung unserer Process-Mining-Lösung MEHRWERK Process Mining (MPM) relevante Entwicklungs- und Einsatzpotenziale aufzeigt.
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